Der Tanz der Sau

Annemarie Sahloul, vor vielen Jahren von Wörtherberg nach England ausgewandert, hat den Artikel über den „Lustigen Sautanz in Allentown" in der Jänner-Nummer unserer Zeitung gelesen. Er hat ihr gut gefallen. Dieser Artikel hat sie an den Sautanz in ihrer Kindheit im Burgenland erinnert. Als tierliebendes Kind hatte sie immer Mitleid mit dem Schwein. Diese Erinnerung hat sie im folgenden niedergeschrieben:

Ein Sautanz in den verfrorenen Höfen meiner Kindheit war der letzte Akt eines Dramas, das trotz seiner blutigen und notwendigen Gewalttätigkeit auch etwas aufrichtiges und rechtschaffenes an sich hatte. Da war wenig Gelegenheit zum Verstecken und Verschönern der blutigen Details - ’the rough with the smooth’ wie man hierzulande sagt. Da gab es schon etwas zu feiern in diesem harten Dasein. Man hatte diesen Schweinsbraten gefüttert, versorgt, gepflegt. Diese Nahrung kam durch die schwere Arbeit der Hände, die am Ende des Dramas einen Preis dafür verlangten. Darin lag die Integrität des Sautanzes, den ich trotz meiner Abscheu der blutigen Einzelheiten respektiere.

Der Tanz für die Sau begann in jenen Jahren mit einer Schüssel voll Futter vor dem Stall. Die Sau kam frohen Herzens aus dem Stall - freute sich auf das Futter und ahnte nicht, daß binnen Sekunden eine Kugel sie zwischen den Augen treffen würde und daß wenige Stunden später ihr aufgeschlitzter Körper von einem Gerüst im Hof hängen würde. Daß ihr Blut bereits in der Gemeinschaft verteilt sein würde; daß der Blutnigl im Rohr sich trauerhaft schwarz färbte und bald eßbereit war. Seppl Onkel war immer eingeladen an solchen Tagen; er kam in Stiefeln und mit langen, scharf geschliffenen Messern. Die Hemdärmel aufgekrempelt, sah man seine starken, muskulösen Arme, die es gewohnt waren, den Hals einer lebenden und toten Sau aufzuschlitzen. Das mußte schnell geschehen und die Frauen standen mit den Schüsseln bereit, das Blut aufzufangen. Die Kinder wurden eingeladen, den Schwanz des Schweines zu ‘halten’ - ich konnte das nie - ich sperrte mich in das Zimmer, drehte das Radio auf und steckte meine Finger in die Ohren. Saubabstechen war eine grauenhafte Zeit für sensible Seelen wie Annemarie.

Nicht immer wurde die Sau erschossen, sondern gewalttätig in Ketten gefesselt, in einen großen Trog gezwungen und dann wurde ihr bei voller Nüchternheit der Hals aufgeschnitten. Die Schreie sind unbeschreibbar - man sagte dann ‘na dei hot wieda wos zamkiat’ und meine Mutter und Großmutter und auch meine Schwester waren immer ein Teil dieses Geschehens. Ich weiß nicht, wie das für die Frauen war. Sie hatten die Sau von klein großgefüttert und oft saßen sie die ganze Nacht hindurch mit der Sau im Stall wenn sie Ferkeln hatte. Da entstand schon eine enge Beziehung; sie wußten, daß ihr Beistand später auch beim Sterben verlangt wurde.

Später abends kam dann der Sautanz. Manchmal wurde der Sauschädel von Nachbarn ‘gestohlen’ und am Abend brachten sie ihn aufgeschmückt auf den Hof zurück; oft begleitet mit Musik - jemand spielte die Ziehharmonika und in manchen Häusern tanzten und jubilierten sie. Ich stand an solchen Tagen immer außer dem Kreis - ich war in Trauer - ich konnte nicht feiern - das Fleisch schmeckte mir nicht; es roch nach Blut. Die Küche wurde ein paar Tage lang zur Verarbeitung des toten Tieres benützt. Auf dem Ofen prasselten in großen Töpfen in tiefem heißen Fett die Grammeln. Es war kein heimeliger Platz, ein Gewimmel von Männern mit scharfen Messern in blutbespritzter Kleidung. Alle freuten sich auf den frischen Schweinsbraten und auf den Blutnigel. Manchmal wurde mir ein Krug voll mit frischem Blut anvertraut; ich mußte das Blut den Nachbarn als Geschenk von unserem Sautanz anbieten. Manchmal verschüttete ich absichtlich ein wenig in den weißen Schnee - der Kontrast zwischen rot und weiß faszinierte mich. Das Blut war dick und ganz ganz rot und es hatte dunkle Gerinnsel; ich hatte meine kalten Hände fest um den Krug worin das Blut noch warm mit dem Leben der Sau pulsierte - ich kann mich erinnern, daß ich mich manchmal auch ein wenig fürchtete vom Blut, daß es mir oft übel war. Welch ein Gemisch von Gefühlen? Ich war mir bewußt, daß ich etwas schätzbares trug, den Lebenssaft eines anderen Lebewesens und daß es ein makabres Ritual war, daß die Gemeinschaft dieses Blutes aß und trank, und es blieb mir ein Rätsel, daß durch das Kochen die Farbe von rot zu schwarz wurde - durch das Kochen starb dieses pulsierende helle Rot.

Der Tanz der Sau war zu Ende.

Annemarie Sahloul, London

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Burgenlaendische Gemeinschaft 5/6 2001 Nr.371 Zeitungsarchiv, Serien